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Single und glücklich
Sonntagabend, 18 Uhr. Ich tanze zu dem Cover-Metal von Leo Moracchioli in T-Shirt, Shorts und Socken durch die Wohnung. „Dance like nobody is watching“, lautet die Devise, der ich gerade nicht bewusst folgen muss. Denn keiner schaut zu.
Ob ich heute den Lieferdienst bemühe, mit Pizza auf der Couch ende oder mit Sushi in der Wanne – es ist ganz allein meine Entscheidung. Denn ich bin überzeugter Single, mit allen Freiheiten, die dieser Beziehungsstatus mit sich bringt (und die nur allzu gerne kleingeredet werden).
Die Freiheit der Ledigen – und der Neid der anderen
„Wäre der nicht was für dich?“
„Bist du denn nicht allein?“
„Du musst dich jetzt aber ranhalten!“
„Such dir doch endlich einen Mann!“
"Du könntest doch jeden haben!"
Meine Standard-Antwort oder besser Standard-Frage darauf ist: Warum?
Warum hängen wir immer noch in einem Zeitalter fest, in dem das erklärte Ziel eine feste Partnerschaft ist? Wo der Ring am Finger einer Errungenschaft gleichkommt, über die alles andere – zumindest momentan – vergessen wird? Wo so viele Menschen lieber unglücklich in einer Partnerschaft kleben bleiben als allein glücklich zu sein?
Vielleicht liegt es daran, dass der Status quo eine Hürde ist, deren Überwindung schwerfällt. Doch wenn ich ob der bohrenden Fragen und mitleidig bis vorwurfsvollen Aussagen über mein Single-Dasein innerlich die Augen verdrehe, beschleicht mich ein anderer Verdacht.
Oft genug ist es Neid, der sich mit dem scheinbaren Unverständnis und „gut gemeinten“ Kommentaren mischt. Der unerkannte Selbstschutz nicht zu vergessen. Wenn andere ohne Partner zufrieden und erfüllt sind, wird die eigene Entscheidung für eine unglückliche Beziehung stärker infrage gestellt.
Doch kommen wir von den psychologischen Abgründen der Zweifler weg und widmen wir uns endlich den Freiheiten der Singles.
Kompromisslos durch den Alltag zu gehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit für Normalsterbliche. Das Ausmaß der Kompromisse können wird aber durchaus kontrollieren. Wir können uns Freiräume schaffen, ohne dabei andere zu beschränken.
Das Tanzen „like nobody is watching” ist dabei erst der Anfang. Morgen umziehen, nächste Woche drei Hunde adoptieren, zum Abenteuer-Urlaub aufbrechen oder sich voll und ganz einem Projekt widmen – vieles ist als Single einfacher und spontaner möglich. Woran es leider oftmals hapert, ist diese Freiheit bewusst zu genießen.
Singles sind selbstständiger
Möbel aufbauen, Steuererklärung machen, kochen, waschen, putzen, Freundschaften pflegen, den Siphon reinigen, schwierige Schreiben verfassen, Herausforderungen überwinden – Singles stellen sich diesen Aufgaben selbst, lernen dazu oder knüpfen passende Kontakte. Sie verlassen sich nicht auf einen Partner, der die Lücken in ihren Kompetenzen stopft. Stattdessen werden sie selbst tätig und sind seltener auf andere angewiesen.
Diese Selbstwirksamkeit wird immer wieder unter Beweis gestellt und stärkt damit auch immer wieder das Selbstwertgefühl. Fällt eine Person aus welchen Gründen auch immer weg, ist das ärgerlich. Aber es erzeugt keine andauernde Hilflosigkeit.
Singles sind reflektierter
Was will ich? Wer bin ich? Was bringt mich auf die Palme? Welches Ziel motiviert mich? Wo habe ich Defizite? Warum mache ich, was ich mache?
Wer sich nicht ständig auf einen anderen Menschen einstellen muss, schaut bei sich selbst genauer hin und hinterfragt das eigene Tun. Statt sich immer wieder nach anderen zu richten, steht die eigene Persönlichkeit im Vordergrund. Muss außerdem nur die eigene Person versorgt werden, ergeben sich gleich mehrere Vorteile.
Die Flexibilität wächst
Ich muss mich nicht abstimmen und rückversichern, ob ich mich ab sofort vegan ernähren möchte, Zero Waste ausprobieren will oder ob ich genug für andere verdiene. Auch davon profitiert die Selbstreflexion allerdings. Was gefällt mir, was nicht? Vollkommen unabhängig von anderen und losgelöst von meinem finanziellen Wert? Das ist zu keinem Zeitpunkt so einfach und schnell möglich wie als Single.
Aktiv statt reaktiv – aber ebenfalls gefangen
Nach Feierabend nach Hause kommen und machen, wonach der Sinn steht: Als Single ist das deutlich eher die Realität als in Paarbeziehungen. Natürlich funken Haushalt, Einkauf und soziale Verpflichtungen hin und wieder dazwischen. Durchschnittlich betrachtet sind kinderlose, ledige Menschen dennoch freier. Sofern sie nicht die Belastungen anderer abfangen.
Von der Kummerkasten-Tante bis zum „Onkel“, der bei Bedarf in die Bresche springt, werden partnerlose Personen nur allzu gerne für undankbare Dienste eingespannt.
Wer wirklich aktiv sein will, muss daher Neinsagen lernen. Ansonsten steht nicht nur die Paarbeziehung zwischen der Realität und den eigenen Wünschen. Die persönlichen Ziele zu verfolgen, muss in den Fokus rücken. Alles andere ist eine Entwertung. Wenn das Paar von nebenan nicht gefragt wird, der Single aber sofort einspringen soll, dann läuft etwas schief in der Weltanschauung.
Die Argumentation dabei ist häufig, dass das Paar eventuell schon Pläne hat. Genau damit müssen wir aufräumen. Die Zeit von Individuen ist nicht wertvoller, wenn sie nur noch paarweise auftreten. Auch wenn die „bessere Hälfte“ fürchterlich gerne als Ausrede verwendet wird.
„Das kannst du doch verschieben!“
„Was hast du denn schon vor?“
Für hilfsbereite und verantwortungsvolle Singles gehören diese und ähnliche Aussagen zum Alltag. Besser ist es dennoch, aktiv zu sein. Spezifische Hilfe anzubieten, ist bedeutend einfacher, als sich nach dem Plan anderer zu richten.
Auch ansonsten können freiwillig ledige Menschen selbstbestimmter durchs Leben gehen. Denn anstatt sich fortlaufend auf einen Partner einzustellen und sich nach ihm zu richten, das Beste aus vorgegebenen Situationen zu machen und nach Kompromissen zu suchen, zählt in jeder Hinsicht die eigene Initiative. Sie wird von niemandem ersetzt, sie wird allerdings auch von niemandem blockiert.
Gender-Gap beim Single-Dasein
Viele Frauen streben noch immer danach, verheiratet zu sein und Kinder zu haben, als wäre das Rollenbild in ihre Köpfe zementiert. Selbst wenn sie merken, dass sie damit weder glücklich noch zufrieden sind, verwenden sie den Ring am Finger als Standard und als Ziel, das andere ebenfalls erreichen wollen und sollten. Die Absurdität dessen lässt sich nicht leugnen.
Doch es kommt noch schlimmer. Denn Ehe und Nachwuchs sind statistisch betrachtet für Frauen vieles, nur nicht die beste Wahl für das persönliche Glück. Am glücklichsten sind unverheiratete Frauen ohne Kinder.
Hält mir mal wieder eine offensichtlich unzufriedene Frau vor, dass mir so vieles entgeht, denke ich nur allzu gerne an genau diese Statistik. Und an die Beschwerden über Mann, Haushalt und Kinder, andere Eltern und fehlende Zeit für sich selbst, die von eben dieser Frau in schönster Regelmäßigkeit aufkommen.
Aber Vorsicht: So gut wie ledigen Frauen geht es nicht jedem. Das Single-Dasein geht mit einem Gender Gap einher. Männer profitieren deutlich mehr von einer Frau an ihrer Seite und sind allein unzufriedener. Statistisch betrachtet.
Wie glücklich, froh und frei wir als Singles sind, ist dennoch eine Frage der persönlichen Einstellung. Die Zeit allein zu genießen, sich auf Projekte und Ziele zu konzentrieren, ein verlässliches soziales Netzwerk aufzubauen und Abenteuer zu erleben, ist erfüllend und alles andere als einsam.
Sich immer wieder zu fragen, warum man selbst nicht den vermeintlichen häuslichen Traum mit Mann und Kindern lebt, baut Selbstbewusstsein und Glück hingegen ausgesprochen effizient ab.
Zu hohe Ansprüche – zwischen Mythos und Wirklichkeit
Wer Single ist und von Beziehungen lieber absieht (oder reinweg enttäuscht von Partnerschaften und potenziellen Kandidaten dafür ist), hat einfach zu hohe Ansprüche. Das wird gerne behauptet. Aber wie viel Wahres ist an diesem Glauben?
Eine pauschale Antwort darauf kann es einfach nicht geben. Während manche auf einen unrealistischen Traumprinzen oder eine -prinzessin warten und selbst mit dem einfühlsamsten und engagiertesten Partner an der Seite den Fokus ausschließlich auf vermeintliche Defizite richten, geraten andere einfach immer wieder an die Nieten der Single-Lotterie.
Für andere spielt es schlichtweg keine Rolle, ob sie Superman gegenüberstehen. Sie wollen nicht auf Händen getragen werden, sondern laufen lieber selbst. Eine Vorstellung, die in unserer Paar-Gesellschaft noch immer für viele geradezu schockierend ist. Das sollte die Freien unter uns allerdings nicht davon abhalten, die Unabhängigkeit zu genießen.
Single ist nicht gleich Single
Freiwillig Single zu sein und diesen Zustand bewusst aufrechtzuerhalten, ist etwas vollkommen anderes als unfreiwillig partnerlos zu sein. Doch beides lässt sich genießen. Anstatt krampfhaft auf Partnersuche zu gehen, ist das Verfolgen der eigenen Interessen die deutlich bessere Wahl. Das macht nicht nur mehr Spaß und bringt die individuelle Entwicklung voran. Es birgt auch die Chance, dabei zahlreiche Gleichgesinnte zu treffen und entspannt kennenzulernen. Dadurch ergeben sich gleich mehrere Gelegenheiten, organisch in eine Beziehung einzusteigen.
Die Unterschiede zwischen den Singles hören an dieser Stelle natürlich noch lange nicht auf. Während sich manche weiterentwickeln, reflektieren, engagieren und damit zu interessanten Persönlichkeiten werden, werden andere eigenartig und eigensinnig, vereinsamen und verbittern. Die Ursachen dafür: die Einstellung und das Netz. Freunde und Bekannte finden, Abenteuer erleben, anderen helfen – dafür ist kein Partner nötig. Es ist jedoch essenziell dafür, sich wohlzufühlen.
Das zu berücksichtigen, ist ein bedeutender Unterschied. Wird die Zeit allein genutzt, wird sie auch genossen. Sie kann zum Befreiungsschlag werden, der Selbstliebe, Selbstbewusstsein und Erkenntnisse mit sich bringt. Und damit künftig auch eine bessere Partnerwahl. Frisch getrennt ist es in jedem Fall die bessere Wahl, der Reflektion den Vorzug zu geben und sich nicht direkt in die nächste Beziehung zu stürzen.
Alleinsein zu lernen und es zu genießen ist eine Herausforderung, die längst nicht jeder schafft. Dadurch fehlt ein wichtiger Baustein der Persönlichkeitsentwicklung.
Zweisamkeit auf Zeit – Singles sind nicht allein
Allein zu sein und sich einsam zu fühlen sind zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Wenn ich einmal wieder der Kummerkasten für Freundinnen bin, die seit Jahren in Beziehungen leben und doch den Redebedarf von zehn Personen haben, sich unverstanden und teils sogar unsichtbar fühlen, werden zwei Punkte klar: Nicht jede „Partnerschaft“ verdient diesen Namen und nicht jede Beziehung ist das Gegenmittel zur Einsamkeit.
Ebenso wenig wie jeder Single einsam ist oder einsam sein muss. Zwischen WGs, engen Freundschaften, Friends with Benefits und Male Escorts gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Gesellschaft und Zweisamkeit auf Zeit zu (er-)leben. Eine feste Beziehung ist dafür nicht nötig und für manche schlicht nicht das Richtige.
Bis das in allen Köpfen ankommt, wird es noch eine Weile dauern. Für den Moment reicht es jedoch vollkommen, sich dessen selbst bewusst zu sein und die Freiheiten allein zu genießen.
Autorin Jessika Mueller